Kulturelle Orientierungen Kulturmodell
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Kulturelle Orientierungen – Ein Kulturmodell

Kulturerfassungsmodell nach Prof. Dr. Dr. Karl Heinz Flechsig: Kulturelle Orientierungen

Es existieren verschiedene Theorien und Modelle, die der Erforschung von kulturellen Unterschieden dienen. Zur Analyse und Entwicklung interkultureller Trainings eignet sich insbesondere das theoretische Konstrukt der „kulturellen Orientierung”. Der Begriff „kulturelle Orientierung” beschreibt die Einstellungen zu und Bewertungen von kulturspezifischem, menschlichen Verhalten.

„Kulturelle Orientierungen” als Konstrukt

Was ist unter dem Konstrukt „kulturelle Orientierungen“ genau zu verstehen? „Orientierung“ meint das räumliche Sich-Zurechtfinden. Ein Mensch weiß, an welchem Ort er sich befindet und wie die Umwelt um ihn herum beschaffen ist. Er nutzt Orientierungshilfen wie einen Kompass oder Landkarten.

„Kulturelle Orientierung“ überträgt diese Vorstellung auf einen kulturellen Raum. Menschen orientieren sich dabei an einem einzigen oder an mehreren Bezugssystemen. Eine Person kann beispielsweise gleichzeitig Europäer, Christ, Lehrer, Bürger der Bundesrepublik Deutschland und Schwabe sein.

Die Orientierung im dreidimensionalen Raum wird meist als Selbstverständlichkeit wahrgenommen und erst bewusst, wenn sie einmal nicht funktioniert hat. Genauso wird die eigene kulturelle Orientierung oft erst in Begegnungen mit Menschen anderer kultureller Orientierung bewusst.

Kulturelle Orientierung(en) sind relativ

Unterschieden werden muss, inwieweit Denkweisen, Einstellungen und Verhalten von Menschen gemeinsamen Gesetzen unterworfen oder kulturell geprägt sind. Die verschiedenen kulturellen Orientierungen lassen sich durch Kategorien erfassen, welche in Hinblick auf kulturspezifische Merkmale zu interpretieren sind. So muss beispielsweise der europäisch-christlich geprägte Individualismus vom hinduistisch geprägten unterschieden werden. Erst empirische Untersuchungen mit geeigneten Methoden erlauben Aussagen darüber, wie häufig diese Orientierungen sind und welchen Einfluss sie auf das Verhalten von Menschen in bestimmten Kontexten haben. Diese Untersuchungen richten sich gegen Stimmen, die bestimmten Bevölkerungsgruppen einheitliche kulturelle Orientierungen zuschreiben („Nationalcharakter“), ohne diese in Bezug auf ihre Häufigkeit und Verbreitung zu relativieren. Diese konstruierten Selbst- und Fremdbilder können als Stereotype lange Zeit bestehen.

Kulturelle Orientierung(en) empirisch erfassen und messen

Kulturelle Orientierungen entwickeln sich erst in der Auseinandersetzung mit den Werten und Normen, den Deutungsmustern und Traditionen, welche ein kulturelles Bezugssystem prägen. Wie lassen sich solche Bezugssysteme und Orientierungen empirisch ermitteln?

In der empirisch-analytischen Sozialforschung werden Merkmale durch „unabhängige Beobachter”, d.h. durch Sinnesorgane und Messinstrumente wahrgenommen und gemessen. Der erste Schritt ist die Festlegung beobachtbarer Merkmale (Indikatoren). Im nächsten Schritt werden Indikatorensysteme in Messinstrumente bzw. „Items“ umgesetzt. Beobachtungsbögen bzw. Interviewleitfäden oder Fragebögen werden entwickelt und jedem Indikator mehrere zu beobachtende Merkmale bzw. Fragen zugeordnet.

Die Auswahl und Gestaltung der Messinstrumente muss immer in Hinblick auf Problematik und Zielgruppe erfolgen. Wenn beispielsweise aktuelle kulturelle Orientierungen der Trainingsteilnehmer erfasst werden sollen, um später die Wirkungen eines interkulturellen Trainings festzustellen, muss sich das Messinstrument auf Merkmale beziehen, deren Beeinflussung Ziel des Trainings ist.

In Bezug auf die Beobachtungs- oder Befragungsinstrumente ist zu berücksichtigen, dass das vom Forscher entwickelte Instrument und die Interpretation der erhobenen Daten durch die kulturelle Orientierung des Forschers geprägt sind. Auch die Aussagen von Befragten werden dadurch beeinflusst, sodass vielleicht nicht die tatsächliche, sondern die von der kulturellen Bezugsgruppe erwünschte Meinung erfasst wird.

Da die kulturelle Orientierung von Menschen sehr komplex ist, werden die erwähnten Indikatoren im Folgenden kurz erklärt. Bezug wird dabei auf Brake & Walker (1994) genommen, die aus ihren Forschungen Handlungsempfehlungen für interkulturelle Kommunikation und Interaktion entwickelt haben.

Indikatoren kultureller Orientierung

Folgende Kategorien sind Beispiele für Indikatoren, mit denen kulturelle Orientierungen erfasst werden können:

  • Einstellung zur Umwelt
  • Umgang mit Zeit
  • (In-)Akzeptanz von Hierarchie und Ungleichheit
  • (Nicht-)Trennung von Privatsphäre und öffentlichem Raum
  • (In)direkte Kommunikation
  • (Nicht)äußerung eigener Emotionen
  • Blick- und Körperkontakt
  • Umgang mit Regeln

Dominante und latente kulturelle Orientierung(en)

Menschen sind hinsichtlich ihrer kulturellen Orientierungen nicht festgelegt. Sie können sich an unterschiedlichen Bezugssystemen orientieren. Die Orientierungen können sich im Laufe des Lebens verändern. Durch den Beruf gewinnen Menschen professionelle Orientierung. Räumliche Orientierung kann sich durch Umzug an einen anderen Ort ändern und generationsspezifische Orientierungen wandeln sich im Laufe des Lebens.

Zudem können Menschen ihre kulturellen Orientierung(en) in verschiedenen Lebensbereichen unterschiedlich zum Ausdruck bringen. Personen, die im Beruf sehr hierarchisch orientiert sind, legen vielleicht innerhalb der Familie mehr Wert auf gleichberechtigte Strukturen. Ebenso vermeiden manche Menschen im beruflichen Bereich Wettbewerbssituationen, wohingegen sie im Sport sehr wettbewerbsorientiert sind. So können Menschen ihre kulturellen Orientierungen aber auch der Rolle entsprechend unterschiedlich ausdrücken.

Messinstrumente erfassen in der Regel nur dominante Orientierungen. Latente Orientierungen, die sich nur in bestimmten Lebensbereichen äußern, können somit lediglich in Form von Wahrscheinlichkeitsaussagen behauptet werden.

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